BRIEF GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGELS (1770-1831) AN FRIEDRICH CREUZER (1771-1858) VOM 30. OKTOBER 1819


- ich bin gleich 50 Jahre alt, habe 30 davon in diese[n] ewig unruhvollen Zeiten des Fürchtens u Hoffens zugebracht, und hoffte es sey einmal mit dem Fürchten und Hoffen aus; [nun] muß ich sehen, daß es im̅er fortwährt, ja[,] meynt man in trüben Stunden, im̅er ärger wird -

Mit diesen Sätzen (Bl. 2v, Z. 7-11; Abb. 1) kommentiert der vor 245 Jahren, am 27. August 1770 in Stuttgart geborene Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel die politische Lage nach den Karlsbader Beschlüssen vom August/September 1819 und der vom Deutschen Bund ausgehenden Politik der "Demagogenverfolgung", die namentlich auch in Preußen um sich griff.

Sie finden sich in einem in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek verwahrten Brief von der Hand Hegels, der mit Ort, Datum und Unterschrift versehen ist: "Berlin[,] d[en] 30[.] Oct. 1819" - "Ihr Hegel" (Abb. 2, 3). Der Brief lässt eine Anrede vermissen. Er beginnt unvermittelt mit den Worten: "Die zwey schönen Geschenke, die Sie, verehrter Freund, mir haben zukom̅en lassen, fodern mich umsomehr auf, Ihnen endlich Nachricht von mir zu geben, als es mich längst drängte, Ihnen zu sagen, daß ich Ihre Freundschaft und Ihren Umgang hier nicht vergessen, vielweniger hier ersetzt erhalten habe." (Bl. 1r, Z. 2-8; Abb. 2) Aus diesen Zeilen und dem weiteren Inhalt des Briefes ist der Adressat unzweideutig zu erschließen. Es handelt sich um den Heidelberger Altertumswissenschaftler Friedrich Creuzer, Hegels Freund und ehemaligen Kollegen an der dortigen Universität.

Rund ein Jahr zuvor war Hegel von Heidelberg als Nachfolger Johann Gottlieb Fichtes (1762-1814) auf den Philosophie-Lehrstuhl der Berliner Universität gewechselt, wo seine Wirkung ihren Höhepunkt erreichen sollte. Zunächst musste jedoch Hegel nach der Ermordung des Schriftstellers und russischen Generalkonsuls August von Kotzebue am 23. März 1819 durch den Theologiestudenten und Burschenschaftler Karl Ludwig Sand in Berlin miterleben, wie es in seinem nächsten Umfeld zur Absetzung politisch missliebiger Professoren und zur Verhaftung von Studenten kam. Die tagespolitischen Ereignisse betrafen Hegel auch ganz unmittelbar, drohten die neu erlassenen Presse- und Zensurbestimmungen doch das rasche Erscheinen seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821 [1820]) zu gefährden, für deren Entstehungsgeschichte der vorliegende Brief ein zentrales Quellendokument darstellt.

Hegel hatte seine akademische Karriere in Jena begonnen. An der Salana habilitierte er sich im August 1801 nur wenige Monate nach seiner Ankunft in Jena. Hier lehrte er anschließend bis zum Frühjahr 1807 - zunächst als Privatdozent, später als außerordentlicher Professor für Philosophie. Die Abfassung seiner epochemachenden Phänomenologie des Geistes (1807) fällt in Hegels Jenaer Periode. Nach den Zwischenstationen als Zeitungsredakteur in Bamberg (1807/08) und als Rektor des Nürnberger Egidiengymnasiums (1808-1816) konnte Hegel erst wieder im Herbst 1816 in Heidelberg in den sehnlich erwünschten Wirkungskreis einer Universität eintreten. Creuzer, der bereits 1808 den Kontakt zu Hegel gesucht hatte, um ihn für die Mitarbeit an den Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur zu gewinnen, war in Heidelberg Lehrstuhlinhaber für Alte Geschichte und Alte Literatur. Mit ihm verband Hegel das Interesse an der Kultur der alten Völker und am Neuplatonismus. Nach Hegels Übersiedlung nach Berlin währte die in Heidelberg geknüpfte Freundschaft fort. Creuzer übersandte Hegel den 1. Teil und den Tafelband - die "zwey schönen Geschenke" - seiner ab 1819 in zweiter, völlig umgearbeiteter Auflage erschienenen Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen (1. Aufl. in 4 Bänden: 1810-1812, 2. Aufl. in 6 Bänden und 1 Tafelband: 1819-1823).

Hegel hat, wie wir von seinem ersten Biographen Karl Rosenkranz (1805-1879) wissen, Creuzers bei den Zeitgenossen nicht unumstrittene Symbolik und Mythologie umfassend exzerpiert und in den betreffenden Teilen seiner Berliner Vorlesungen wiederholt herangezogen. Das Werk diente ihm sowohl als Quellenfundus zur materialen Erschließung der orientalischen und griechisch-römischen Welt als auch - in seinen Vorlesungen über die Ästhetik - als Ausgangpunkt für die konzeptionelle Fassung der symbolischen Kunstform, die Hegel der klassischen und romantischen Kunstform voraufgehen lässt.

Hegels Brief ist Teil der Autographensammlung Wolfgang Maximilian von Goethes (1820-1883), einem Enkel des Dichters. Wolfgang Maximilian vermachte seinen Nachlass 1880 testamentarisch der Universität Jena. Nach seinem Tode wurde die Autographensammlung der Universitätsbibliothek Jena überstellt. Zu welchem Zeitpunkt und auf welchen Wegen der Hegel-Brief in die Autographensammlung des Goethe-Enkels gelangte, konnte bislang nicht ermittelt werden.

Signatur: Aut.-Slg. W. M. v. Goethe, 226a

Ansprechpartner: Dr. Uwe Glatz