TISCHREDE MARTIN LUTHERS ZU JAN HUS


Vor 600 Jahren, am 6. Juli 1415, wurde der böhmische Theologe Jan Hus in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Hus, um 1369 wahrscheinlich in Husinec geboren, lernte während seines Studiums in Prag die ihn stark prägende Lehre John Wyclifs kennen. Ab 1402 war Hus an der Prager Universität Professor für Theologie und Philosophie, 1409/10 Rektor. Da er zunehmend kritisch gegen Papst und Klerus predigte, erhielt er ein Predigtverbot; seine Schriften wurden verboten. 1411 wurde er exkommuniziert. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine große Anhängerschaft für sich gewonnen. Nach seiner Flucht aus Prag 1412 verfasste er zahlreiche Schriften, darunter 1413 sein Hauptwerk "De ecclesia". 1414 reiste er zum Konstanzer Konzil; König Sigismund hatte ihm freies Geleit zugesichert. Ungeachtet dessen nahm man ihn in Konstanz fest. Nachdem er es abgelehnt hatte, seine Lehre zu widerrufen, wurde er als Häretiker verurteilt und verbrannt.

Martin Luther hatte laut eigener Darstellung als junger Theologiestudent schaudernd, aber auch respektvoll in Erfurt eine Hus-Handschrift gelesen. Am Ketzertum von Hus zweifelte Luther zunächst nicht, entwickelte aber, beginnend mit der Leipziger Disputation 1519, öffentliche Sympathie für Hus' Kernthesen. Dass einerseits Luthers Gegner, vor allem sein schärfster Widersacher Johannes Eck, ihn als Anhänger der böhmischen Ketzerei abstempelten und andererseits der Prager Propst Václav Roždalovský Luther würdigte, er sei für Sachsen, was Hus einst für Böhmen war, befeuerte Luthers Interesse an Hus noch. Nachdem Luther 1521 exkommuniziert worden war, identifizierte er sich umso stärker mit Hus, der dasselbe Schicksal erlitten hatte. Luther billigte schließlich auch die Ansicht, dass eine der Überlieferung nach von Hus geäußerte Prophetie auf ihn gemünzt sei: Hus hatte vor seinem Feuertod angeblich gesagt, nun brate man eine Gans (tschechisch "husa" = Gans), hundert Jahre später aber werde man einen Schwan singen hören.

Ein Text in der Handschrift Ms. Bos. q. 24 s, das Objekt des Monats Juli, lässt Luthers Respekt vor Hus sehr schön erkennen. Es handelt sich um eine der Handschriften von Luthers engem Wegbegleiter Georg Rörer, die zu den größten Schätzen der ThULB gehören. Der 470 Blätter umfassende Quartband ist aus Teilen zusammengesetzt, die 1550/53 an Rörers Wirkungsorten Wittenberg, Kopenhagen und Jena entstanden. Auf Blatt 149v hat Rörer eine Tischrede Luthers aufgeschrieben:

"De Johanne Hussen: Sanguis Huss hodie dampnat papistas. Fuit doctus vir, id quod apparet in libello suo de ecclesia. Et ego valde amo eum. Nam est mortuus non ut anabaptista, sed ut Christianus. Infirmitas Christiana conspicitur in eo, et tamen potentia Dei erexit se. Illud cer-tamen carnis et spiritus in Husso dulce est videre. In omnibus mansit hoc testimonium, Hussum fuisse doctissimum et Hieronimum de Praga eloquentissimum. Er kuend meher denn die gantze welt. Tamen damnatus est innocens. Ab eo tempore res papae coepit retro sublapsa referri. Subiecit Severus aliquis: Constantia civitas est miserrima. Credo Deum punivisse eam, quod armata manu deduxit Hussum ad ignem."

Übersetzung: Von Johannes Hus: Husʼ Blut verdammt heute die Papisten. Er ist ein gelehrter Mann gewesen, wie es sich in seinem Buch von der Kirche zeigt. Und ich liebe ihn sehr. Denn er ist nicht als Wiedertäufer gestorben, sondern als Christ. Die Schwäche des Christentums ist in ihm erkennbar, und gleichwohl hat ihn Gottes Gewalt aufgerichtet. Jener Kampf des Fleisches und des Geistes in Hus ist süß zu sehen. Bei allem bleibt dieses Zeugnis, dass Hus höchst gelehrt und Hieronymus von Prag höchst beredt war. Er (Hus) konnte mehr als die ganze Welt. Trotzdem ist er unschuldig verdammt worden. Seit dieser Zeit hat die Sache des Papstes zu sinken begonnen. - Ein gewisser Severus hat eingeworfen: "Konstanz ist eine höchst elende Stadt". - Ich glaube, Gott hat sie gestraft, dass sie Hus bewaffnet zum Feuer geführt hat.

Signatur: Ms. Bos. q. 24 s

Ansprechpartner: Dr. Joachim Ott