EIN LEHRBUCH DER RÖMISCHEN FELDVERMESSER


Im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts fertigte in Italien, vielleicht in Rom, ein Schreiber eine Papierhandschrift mit 106 Blättern im Format 31 x 22 cm an, der Zeit entsprechend im Schriftstil der humanistischen Kursive. Diese Handschrift ist ein wichtiger Textzeuge der sogenannten Agrimensoren-Schriften. Als Agrimensoren werden die Feldvermesser der römischen Kaiserzeit bezeichnet. Ihre Lehrbücher waren in nachantiker Zeit unverändert anerkannt und wurden deshalb durch Abschriften weiterhin verbreitet.

Das Jenaer Exemplar ist eine Abschrift des spätantiken "Codex Arcerianus", der heute in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel liegt (Cod. Guelf. 36.23 Aug. 2°). Dieser Codex war nach seiner Auffindung 1493 in Bobbio wahrscheinlich 1497 nach Rom verbracht worden und gelangte zwischen 1526 und 1536 in den Besitz des berühmten Humanisten Erasmus von Rotterdam. Leider ist es so, dass Teile des "Codex Arcerianus" schon zum Zeitpunkt seiner Auffindung gefehlt hatten und dass abermals Teile in späterer Zeit verlorengingen. Die in der ThULB Jena liegende Abschrift war allerdings angefertigt worden, bevor dieser zweite Textverlust der Vorlage eintrat. Aus diesem Grund ist die Abschrift von besonderem Wert, überliefert sie doch die nachmalig verlorenen Texte des "Codex Arcerianus". Die Jenaer Handschrift selbst blieb ihrerseits nicht verschont: Am oberen Rand des Vorderdeckels und der ersten rund 20 Blätter zeugt eine kräftige Bissstelle davon, dass irgendwann einmal eine Maus ihren Appetit an dem Agrimensorencodex gestillt hat.

Inhaltlich umfasst die Handschrift (entsprechend ihrer Vorlage) zahlreiche kurze Lehrtexte einschlägiger römischer Fachautoren wie etwa Hyginus Gromaticus, Siculus Flaccus, Gaius Iulius Hyginus, Agennius Urbicus, Marcus Iunius Nipsus oder Iulius Frontinus. Zur Illustration der Ausführungen sind zahlreiche Federzeichnungen eingefügt, die stilistisch die spätantike Vorlage nachahmen. Sie zeigen Landschaften, Stadtanlagen, Bauwerke und geometrische Figuren. Der Schreiber der Jenaer Handschrift nutzte sein Buch selbst intensiv und überarbeitete es mehrmals.

Sigmund Wilhelm Zimmern (1796-1830), ab 1826 Juraprofessor in Jena, schenkte die Handschrift 1827 der Bibliothek. Sie ist eingeordnet in die zu Anfang des 20. Jahrhunderts eingerichtete, zunächst als vorläufig gedachte, dann aber persistent gewordene Signaturreihe "Manuscripta Provisorisch".

Signatur: Ms. Prov. f. 156

Digitalisat in UrMEL

Ansprechpartner: Dr. Joachim Ott